Wiesbaden debattiert die produktive Stadt: Arbeit, Wohnen und Produktion zurück ins Zentrum bringen

Wiesbaden debattiert die produktive Stadt: Arbeit, Wohnen und Produktion zurück ins Zentrum bringen
Wiesbaden debattiert die produktive Stadt: Arbeit, Wohnen und Produktion zurück ins Zentrum bringen | Bild: Wolfgang Pehlemann Wiesbaden / CC BY-SA 3.0 de

In einem voll besetzten Saal im Haus der Architekten in Wiesbaden diskutierten Expertinnen und Experten sowie Bürgerinnen und Bürger am 2. Dezember über das Leitbild der sogenannten produktiven Stadt. Veranstaltet vom Stadtmuseum sam brachte der DesignDialog Fachleute aus Stadtplanung, Architektur, Forschung und Kultur zusammen, um Möglichkeiten für eine Innenstadt jenseits reinen Konsums zu erörtern.

Worum es bei der produktiven Stadt geht

Im Mittelpunkt der Debatte stand die Frage, wie Städte zukünftig Arbeiten, Wohnen und Produktion wieder stärker mischen können. Das Konzept versteht sich als Gegenentwurf zur strikten Trennung von Wohn- und Arbeitsorten. Neben kleinteiligem Handwerk zählen dazu urbane Landwirtschaft und andere Nutzungen, die direkte Versorgungsketten, kürzere Wege und resilientere Quartiere fördern.

Francesca Ferguson, Stadtforscherin und Leiterin der Initiative Make_Shift, bezeichnete die produktive Stadt als Antwort auf mehrere gleichzeitig auftretende Probleme. „Die produktive Stadt ist eine notwendige Antwort auf drei gleichzeitig auftretende Krisen: den Mangel an Fachkräften im Handwerk, das Verschwinden von Kleinbetrieben aus den Innenstädten und die fehlende nachhaltige urbane Nahrungsmittelproduktion“, sagte Ferguson. Sie plädierte dafür, Erdgeschosse und Innenhöfe gezielt für Kleingewerbe zu öffnen und Leerstände kreativ zu nutzen.

Planung, Praxis und lokale Perspektiven

Aus Sicht der kommunalen Verwaltung ist das Thema ebenfalls von hoher Bedeutung. Constanze Paffrath, Abteilungsleiterin Städtebau im Stadtplanungsamt Wiesbaden, betonte dabei eine normative Orientierung: „Die Stadt der Zukunft folgt dem Leitbild der europäischen Stadt und ist damit die nachhaltigste und schönste Form des Zusammenlebens.“ Die Herausforderung sei, Strategien zu entwickeln, die ein gerechtes und nachhaltiges Zusammenleben für alle Bevölkerungsgruppen ermöglichen.

Weitere Beiträge machten deutlich, dass sich Innenstädte und Randbereiche grundlegend anpassen müssen. Philipp Krass von berchtoldkrass space&options prognostizierte, dass der Handel an Bedeutung verlieren könne, während Bildung, Kultur und verträgliche Produktion Lücken füllen würden. Zugleich setzte er Anpassung an den Klimawandel mit mehr Grün in Verbindung.

Torsten Becker vom Vorstand der Architektenkammer Hessen verwies auf die planerische Dimension: „Die produktive Stadt von morgen setzt eine neue Idee des Innenstadtversprechens voraus. Lebensmodelle, Arbeitswelten und Freizeitansprüche verändern sich fortlaufend. Dieser Wandel will vorausschauend gestaltet werden.“ Für Becker ist Innenstadtentwicklung eine Gemeinschaftsaufgabe, die interdisziplinäre Netzwerke voraussetzt.

Konkrete Vorschläge und Widersprüche

Diskutiert wurden konkrete Instrumente wie Pop up Leases, verhandelte Nutzungen und gezielte Aktivierung von Leerstand, um Kleinbetriebe und Handwerk zurück ins Zentrum zu bringen. Solche Maßnahmen sollen auch dem Fachkräftemangel entgegenwirken, indem sie Ausbildungs- und Arbeitsorte in die Stadtmitte verlagern.

Gleichzeitig wiesen die Diskussionsteilnehmerinnen und Teilnehmer auf Zielkonflikte hin. Die Wiederbelebung von Innenstädten mit Produktion und Handwerk verlangt städtebauliche Abwägungen, etwa zu Lärm, Logistik und Flächennutzungen. Auch die Frage, wie solche Maßnahmen sozial gerecht und klimaverträglich umgesetzt werden können, blieb zentral.

Ausblick für Wiesbaden und Rolle des sam

Der DesignDialog wurde in diesem Jahr als gelabeltes Projekt der World Design Capital 2026 Frankfurt RheinMain geführt. Die Direktorin des Stadtmuseums sam, Sabine Philipp, beschrieb die Intention des Hauses als aktiv in die Stadtentwicklung eingreifend: „Als ein aktuelles Stadtmuseum wollen wir nicht nur auf die Vergangenheit blicken, sondern ebenso Impulse für das Morgen setzen.“ Das Museum plant laut Philipp, während der WDC 2026 das Erdgeschoss des ehemaligen Sportscheck Gebäudes in der Langgasse als „Vierten Raum“ zu nutzen, in dem Projekte aus Wiesbaden und Umgebung vorgestellt werden sollen.

Das große Besucherinteresse am Abend machte deutlich, dass die produktive Stadt in Wiesbaden nicht nur ein planerisches Konzept ist, sondern auch ein soziales und kulturelles Anliegen. Die Debatte reichte von praktischen Maßnahmen gegen Leerstand und für das Handwerk bis zu Fragen klimafreundlicher Quartiersentwicklung. Konkrete Entscheidungen über Wege und Prioritäten bleiben Aufgabe von Politik und Verwaltung in Abstimmung mit Zivilgesellschaft und Fachleuten.

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